Bücherei-Con - Was ist ein Rollenspiel?
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Was ist ein Rollenspiel?

Rollenspiele zeichnen sich durch drei wesentliche Merkmale aus:

  1. Jeder Spieler spielt für einen Bewohner der Spielwelt, für seine Spielerfigur.
  2. Der Spieler kann völlig frei über das Verhalten seiner Figur entscheiden. Er kann sie auch etwas tun lassen, das in den Regeln nicht vorgesehen ist.
  3. Es gibt kein Spielziel, dessen Erreichen das Spiel beendet.

Diese drei Merkmale sollen im folgenden Abschnitt näher betrachtet werden.

Bei Fantasy-Rollenspielen hat die Spielwelt einen pseudohistorischen Hintergrund, der etwa dem Mittelalter oder der Antike entspricht. In dieser Welt der Phantasie gibt es aber Zauberei, und man kann dort vertrauten Gestalten aus Sagen und Märchen begegnen - zum Beispiel Elfen, Zwergen oder Drachen. Die Spielwelt kann nach einem literarischen Vorbild wie Tolkiens Mittelerde oder Howards Hyboria modelliert sein oder völlig der Phantasie der Spieler entsprungen sein - MIDGARD liefert den Hintergrund gleich mit: die Welt Midgard.

Zu Beginn jeder Spielepisode wird die Gruppe der Spielerfiguren vor eine abenteuerliche Aufgabe gestellt. Jeder Spieler entscheidet in Absprache mit seinen Mitspielern völlig frei über die Vorgehensweise seiner Spielerfigur. Dies ist ein ganz wesentliches Merkmal echter Rollenspiele. Dem Spieler stehen im Spiel alle Möglichkeiten offen, die ein Bewohner der Spielwelt in der betreffenden Situation tatsächlich hätte. In herkömmlichen Spielen sind dem Spieler dagegen nur die Handlungen gestattet, die ausdrücklich in den Regeln aufgeführt sind.

In einem Rollenspiel kann der Spieler seine Spielerfigur auch Handlungen ausführen lassen, die in den Regeln nicht ausdrücklich erwähnt werden. Schließlich können auch in einem Rollenspiel-Regelwerk trotz seines meist großen Umfangs nicht alle Handlungsmöglichkeiten aufgeführt werden, die den Spielern ein fallen können. Um dennoch die erwünschte völlige Entscheidungsfreiheit zu erreichen, gibt es bei jedem echten Rollenspiel einen Spielleiter. Eine der Aufgaben des Spielleiters ist es, als eine Art Schiedsrichter zu entscheiden, wie sich unvorhergesehene Einfälle der Spieler auf den Spielverlauf auswirken. Hierzu steht ihm sein gesunder Menschenverstand zur Verfügung, und die Regelbücher geben Hinweise, wie er selbst einfache Regeln improvisieren kann.

Der Spielleiter entscheidet aber nicht nur über die Art, wie die Spielerentscheidungen sich auf den Spielverlauf auswirken, sondern er entwirft auch vor Beginn der eigentlichen Spielsitzungen den Rahmen für die Abenteuerhandlung. Während des eigentlichen Spiels entwickelt sich dann aus diesem Gerüst im Wechselspiel von Spielerentscheidungen und Anwendung der Spielregeln die eigentliche Spielhandlung. Darüber hinaus spielt der Spielleiter auch für alle Bewohner der Spielwelt, die im Spiel auftreten und nicht von einem der Spieler geführt werden. Diese Figuren werden Nichtspielerfiguren genannt. Der Spielleiter muß dabei nicht nur in eine, sondern in viele Rollen schlüpfen und versuchen, jeder so gut wie möglich gerecht zu werden. Es sollte aber noch einmal betont werden, daß er dabei nicht gegen die Spieler spielt, sondern seine Funktion die eines unparteiischen Schiedsrichters ist. Führt der Spielleiter zum Beispiel einen dummen, eitlen Stadthauptmann, so sollte er ihn auf Schmeicheleien der Spielerfiguren hereinfallen lassen, auch wenn er selbst sie durchschaut.

Rollenspiele enden nie, solange die Mitspieler die Lust am Spielen nicht verlieren. Spielabend reiht sich an Spielabend. Eine typische Spielsitzung dauert je nach den Wünschen der Spieler zwei bis zehn Stunden. Kann eine Spielepisode in dieser Zeit nicht zum Abschluß gebracht werden, so spielt man beim nächsten Mal einfach an der Stelle, wo man unterbrochen hat, weiter. Ein gutgeleitetes fortlaufendes Rollenspiel wird nicht langweilig, und Spielergruppen, die jahrelang regelmäßig miteinander spielen, sind eher die Regel als die Ausnahme. Die Spielerfiguren bestehen dabei ein Abenteuer nach dem anderen, wobei die Spieler als Gruppe versuchen, die Aufgaben zu lösen, die ihnen der Spielleiter gestellt hat. Es gibt keine Sieger oder Verlierer; man spielt um der geselligen Unterhaltung willen.

Ein Rollenspiel unterscheidet sich schon auf den ersten Blick von herkömmlichen Spielen: Es gibt kein Spielbrett. Eine feste Spielfläche wäre auch gar nicht mit der völlig freien Spielform eines Rollenspiels zu vereinbaren. Das notwendige Spielmaterial besteht nur aus den Regelbüchern, Würfeln, Papier und Bleistift. Und natürlich braucht man sehr viel Phantasie. Es gibt allerdings eine Reihe von nützlichem Zubehör. Am wichtigsten sind Datenblätter, auf denen die Spieler die Eigenschaften und Spieldaten ihrer Figuren übersichtlich notieren können. Viele Spielgruppen verwenden darüber hinaus sorgfältig bemalte Zinnfiguren für ihre Figuren, die eigens für Rollenspiele hergestellt werden. Stellt man diese Zinnfiguren auf eine mit Quadraten überzogene Spielfläche, so werden die Bewegungen der Spielerfiguren und anderer Bewohner der Spielwelt übersichtlicher. Es besteht dann kein Zweifel, wer sich wann wo befindet und wer in die Fallgrube fällt.

Rollenspiele haben den Vorteil, daß sie auf der einen Seite sehr komplex sind und zum Teil dicke Regelbücher aufweisen, auf der anderen Seite aber auch sehr einfach zu spielen sind. Die Spieler brauchen sich nur zu überlegen, was sie an der Stelle ihrer Spielfiguren tun würden, und dies dem Spielleiter mitzuteilen. Im Prinzip können daher Spieler schon an einem Rollenspiel teilnehmen, wenn ihnen der Spielleiter in zehn Minuten die Besonderheiten des jeweiligen Spielsystems und die Fähigkeiten der jeweiligen Spielerfigur erklärt hat. Den Rest lernt man "spielend" von erfahrenen Mitspielern und dem Spielleiter. Als Spielleiter muß man allerdings einige Mühen auf sich nehmen. Zum einen muß man als einziger der Spielergruppe tatsächlich die Regeln einigermaßen beherrschen. Aber keine Angst: In den Hunderten von Seiten mancher Regelbücher ist nur ein geringer Teil tatsächliche Regelsubstanz. Vieles steht dort nur zum Nachschlagen, z. B. die Wirkung Dutzender von Zaubersprüchen oder die Spieldaten zahlreicher Tiere und Fabelwesen. Zum anderen muß der Spielleiter die Spielhandlungen entwerfen und vorbereiten. Für alle Spielsysteme gibt es aber auch fertig ausgearbeitete Spielhandlungen käuflich zu erwerben, und Rollenspiel-Zeitschriften wie der Gildenbrief veröffentlichen regelmäßig solche Szenarien, Abenteuer oder Module genannte Spielhilfen. Diese fertigen Abenteuer braucht der Spielleiter nur aufmerksam zu studieren, und schon kann er mit dem Spielen beginnen.


Der Reiz der Rollenspiele von Jürgen E. Franke
Copyright © 1985 by Jürgen E. Franke
– Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors -
www.midgard-online.de/Uberblick/rspwas.html

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Letzte Änderung: Mittwoch, 26. Mai 2004